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Poststellenschliessungen!

Poststellenschliessungen

Eine wirksame Strategie

Die Poststellenschliessungen sind Teil eines langen Zerschlagungsprozesses des Service Public. Er begann Mitte der 90er Jahre, als die Post unter der Leitung von Jean-Noël Rey stand und noch für mehr als ein Jahrzehnt von einem vollständigen Monopol profitierte.

Das Netz  zählte zu jener Zeit etwa 4000 Poststellen, die fast alle Dörfer der Schweiz bedienten. Das heutige Netz besteht aus weniger als 1800 Poststellen. Momentan haben 10% der Bevölkerung (mehr als 700'000 Personen) keinen Zugang zu einer Poststelle mehr innert 20 Minuten zu Fuss oder im öV. Die Schliessungen wurden in mehreren Wellen beschlossen, in Projekten verschiedenen Namens (‚Optima’, ‚Typologie’ etc.). Man sah jedes Mal dem gleichen Szenario zu: Ankündigung von Schliessungen durch die Post, öffentlicher Protest der Gewerkschaften und einiger Politiker, gewerkschaftliches Einverständnis unter der Bedingung eines grosszügigen Sozialplans, und das (nie eingehaltene) Versprechen, den übrigbleibenden Rest zu verstärken. – Ein Projekt unterschied sich von der gewohnten Haltung der Gewerkschaften: das Projekt ‚Typologie’ von anfangs 2001 bis 2005. Die Gewerkschaft Kommunikation hatte sich vorgenommen, das Projekt auf aktive Weise zu „begleiten“. Wir mussten (zu der Zeit engagierte ich mich in dieser Gewerkschaft als Spezialist des Poststellennetzes und Vertreter der Poststellenverantwortlichen) das Projekt und damit die Schliessung von fast 1000 Poststellen in fünf Jahren „verkaufen“. Wir hielten Informationssitzungen ab, um das Projekt zu erklären und den Kollegen dessen verdienstvolle Seiten hervorzustreichen. Eine sehr geschickte Strategie der Post um Proteste im Keim zu ersticken und Widerstand zu betäuben. Und es hat funktioniert! Eine unklare Vorkommnis von Mitverantwortlichkeit der Gewerkschaft Kommunikation ist jedoch bis heute nicht aufgeklärt worden. Zehn Tage vor der offiziellen und schicksalsträchtigen Ankündigung vom 18. Januar 2001, 700 bis 900 Poststellen würden im Laufe von fünf Jahren aufgegeben werden, hat uns die Gewerkschaftsleitung eine Kopie der offiziellen Ankündigung vorgelegt  (mit dem Logo der Post und der Gewerkschaft Kommunikation), in der die Schliessung von 500 Poststellen im Laufe von zehn Jahren vorgesehen war! Unnötig zu sagen, wie bestürzt man war und wie betrogen man sich fühlte, als zehn Tage später das Communiqué von 700 bis 900 Schliessungen sprach, auf nur fünf Jahre verteilt – und dies immer noch mit den Logos von Post und Gewerkschaft! Dieser Verrat erzürnte die Sektion Jura Post so sehr, dass sie das interne Schiedsgericht anrief. Eine Klage, die natürlich mit einer Einstellung des Verfahrens endete... – Die „Begleitung“ durch die Gewerkschaft ging genauso aktiv weiter mit der Kommission SOMA, einer paritätischen Kommission aus Post, Gewerkschaft Kommunikation und Gewerkschaft Transfair (der christlichen Gewerkschaft), an deren Sitzungen ich als Vertreter der Poststellenverantwortlichen teilnahm. Diese Kommission analysierte alle kleinen Poststellen (mehr als 1500), und die Gewerkschaften haben eifrig mitgemacht, sogar noch als klar wurde, dass die Zahl der Schliessungen die im Jahr 2001 verkündete Obergrenze übersteigen wird.

Erstickungs-Strategie

Um zu ihrem Ziel zu kommen und um eine genügende politische Akzeptanz zu schaffen (oder wenigstens nicht viel Widerstand hervorzurufen) hat sich die Post eine wirksame Strategie ausgedacht: man zwang den kleinen Poststellen eine Verkürzung der Schalteröffnungszeiten auf. Während die Posthalter es vorher auf sich nahmen, die Schalter zur Zufriedenheit der Kunden offenzuhalten, wenn sie mit anderen Arbeiten beschäftigt waren, mussten nachher die Oeffnungszeiten auf Anordnung der Post drastisch reduziert werden, um mehrere Stunden täglich. Wenn ein Kunde zweimal vor geschlossener Tür steht und in eine grosse Filiale in der Umgebung fahren muss, geht er das dritte Mal direkt dorthin.

Dazu kommt ein aufgezwungener Abbau des Angebots in kleinen Poststellen. Unter dem Vorwand, die dortige Kundschaft habe nur wenige marginale Grundbedürfnisse, streicht die Post Dutzende Dienstleistungen, was einen weiteren Umsatzrückgang zur Folge hat. So hungert die Post ihre kleinen Poststellen aus und treibt die Kundschaft in die grossen Filialen.

Weiter wird Dumping und unfaire interne Konkurrenz praktiziert: man hält die grossen Geschäftskunden von den Poststellen fern, indem man ihnen beim Abholservice tiefere Preise anbietet, wenn sie ihre Sendungen nicht mehr in die Poststelle bringen. So kann die Post schlussendlich, um die Restrukturierungen zu rechtfertigen, verkünden, dass die Zahl der in Poststellen aufgegebenen Sendungen in einem Zeitraum von acht Jahren um 50% abgenommen habe, während die Gesamtzahl der Sendungen nur um 2% jährlich gesunken ist.

Falsche-Zahlen-Strategie

Gegenüber den Gemeinden und der Politik hat die Post die Schliessungen immer mit einem sogenannten Defizit des Poststellennetzes von 500 Millionen Franken jährlich begründet. Klar scheint das ein überzeugendes Argument, aber es ist trügerisch. Das Poststellennetz macht nur wenig Defizit, und dies wegen eines internen Strategie-Entscheides, wie Mathias Finger (Professor an der ETH Lausanne und Inhaber eines durch die Post gesponserten Lehrstuhls in Oekonomie) eingeräumt hat. Das finanzielle Ergebnis des Poststellennetzes hängt von der internen Fakturierung der Dienstleistungen ab, die von den Poststellen für die anderen Geschäftsbereiche der Post erfüllt werden. Es reicht, einen internen Transfer-Tarif um ein paar Prozent zu erhöhen oder zu senken, und schon kann man nachher einen Gewinn oder einen Verlust von mehreren zehn Millionen fürs Poststellennetz deklarieren. Die Postregulationsbehörde PostReg hat mir bestätigt, dass es seitens der Post missbräuchlich ist, ihr Filialnetz als defizitär darzustellen. Während die PostReg in ihrem Geschäftsbericht also feststellte, die Post gebe ihre Zahlen nicht korrekt an, verschwand wegen einer Intervention des zuständigen Bundesrats Leuenberger diese unerwünschte Kritik im Papierkorb. Wenn man schon von Herrn Leuenberger spricht, muss man auch von der Haltung der SP Schweiz zu diesen Schliessungen sprechen. Die SP hatte die Volksinitiative „Eine Post für alle“ nur mit einem Lippenbekenntnis unterstützt und ihr keine finanziellen Mittel zugesprochen. Eine Umfrage des Instituts GFS (das Volk lehnte die Initiative mit 50,2% knapp ab) nach der Abstimmung zeigte, dass bei den SP-Mitgliedern ein Drittel gegen die Initiative war. Nun informierte die SP in ihrem Programm 2000 aber: „Die SP ist für ein attraktives Poststellennetz, das den aktuellen Bedürfnissen angepasst ist. Anstatt sich am Status Quo festzuklammern, unterstützt die SP die Suche nach kreativen Lösungen...“ Ein schönes Programm! ‚Kreative Lösungen’, das ist exakt die Ausdrucksweise der Post, wenn sie die Schliessungen sowie den Ersatz von Poststellen durch einen Self-Service in Läden rechtfertigt. Als ich etwa 60 BundesparlamentarierInnen einlud, ein Komitee zu gründen, das die Schliessungen aufgrund eines vorgetäuschten Defizits anprangern sollte, fand sich kein einziger der 25 SP-Parlamentarier dazu bereit.

Und die anderen Gewerkschaften?

Die zweideutige Haltung der Gewerkschaft Kommunikation haben wir schon gesehen. Die Gewerkschaft Transfair hat eine weniger zweideutige, dafür noch erstaunlichere Haltung. In ihrem letzten Presse-Communiqué erklärt sie: „Transfair will sich den Poststellenschliessungen nicht mehr entgegenstellen.“ Sie wünscht sich eine Anpassung des momentanen Netzes an die aktuellen Bedürfnisse der Kunden, und zwar auf einen Schlag, auch wenn er hart sein sollte.

Was die Autonome Pöstlergewerkschaft SAP betrifft, zahlt sie einen hohen Preis für ihre Unabhängigkeit vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB und für ihre kritische Haltung gegenüber den anderen Gewerkschaften. Ihr fester Widerstand findet kein Echo, und ihre Aufrufe zum gemeinsamen Kampf bleiben unbeantwortet. Und schlimmer noch: als die SAP beim Schiedsgericht der Post ein Dossier einreichte, das die Post-Argumente für eine Deklassierung der Poststellenleiter (Projekt NEK 312) bekämpfen sollte, weigerten sich die anderen Gewerkschaften, dass auf dieses Dossier eingegangen wurde.

Und wie weiter?

Nur ein entschiedener Kampf mit Streik und Blockaden kann die Post noch stoppen. Ebenfalls muss man eine grosse Schwäche der Gewerkschaftsbewegung feststellen, wo die Rolle der  Mitglieder sich aufs Unterschriftensammeln für Petitionen beschränkt.

Olivier Cottagnoud  Autonome Pöstlergewerkschaft SAP     25. August 2013

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